LDN

Sonntag, 21. September 2014

Was ich an London vermissen würde

In letzter Zeit werde ich mit dem Gedanken konfrontiert, wieder nach Deutschland zurückzukehren. Bis vor ein paar Wochen war das noch total undenkbar (miefige Kleingeistigkeit, noch mal von Null anfangen, all die bequemen Dinge des Lebens aufgeben, wäh!), aber zugegeben, nach dem krassen Kontrast New Forest/London gewinnt der Gedanke so langsam an Attraktivität. Um meine Hin- und Hergerissenheit mal in Worte zu fassen ist hier meine persönliche "Was ich an London vermissen würde"-Liste – in keiner bestimmten Reihenfolge und ganz sicher nicht vollständig. Und ja, mir ist bewusst, dass der Vergleich zwischen London und "irgendwo in Deutschland" ein Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen ist.

  • Dass man sieben Tage die Woche einkaufen gehen kann. Man kann einfach das ganze Wochenende nutzen und muss nicht alle Erledigungen in den Samstag quetschen. Es muss ja nicht lange sein (hier haben Geschäfte sonntags oft "nur" von 12 bis 18 Uhr geöffnet, aber eben alle).
  • Dass man rund um die Uhr einkaufen kann. Supermärkte haben zum größten Teil von 7 bis 23 Uhr offen (auch unser kleiner im Haus), manche sogar rund um die Uhr.
  • Alle sind sehr tolerant und offen, was wohl auch an dem hohen Ausländeranteil liegt. Jeder kann hier alles sein, was er will, es gibt kein dummes Gemunkel über Ungeheuerlichkeiten. Manche nennen es Gleichgültigkeit, ich nenne es Toleranz.
  • Ich finde, der Umgang miteinander ist sehr höflich. Meist ist es zwar oberflächlich und manchmal auch passiv-aggressiv, aber "Sorry" und "Excuse me" sind eine wunderbare Möglichkeit, um genervt und doch höflich an anderen Menschen vorbeizuhetzen. Und ja, derjenige, dem auf den Fuß getreten wird, entschuldigt sich tatsächlich, auch wenn es natürlich eher als Ermahnung gemeint ist. :-) Darüber hinaus gibt es jedoch auch echte Höflichkeit, da werden fast immer Türen aufgehalten und Schwangeren Platz gemacht (von Männlein und Weiblein). Und ja, mir geht immer noch das Herz auf, wenn ich auf dem Wochenmarkt mit "Darling" oder "Love" angesprochen werde, auch wenn das hier natürlich eine ganz normale Anrede ist.
  • Das Alltagstempo ist sehr hoch und man optimiert an allen Ecken und Enden, um hier und da noch ein Sekündchen zu sparen. Das klingt zwar eher nach einem Nachteil, aber wenn man erst mal in dem Rausch drin ist, freut man sich wie ein Honigkuchenpferd, wenn die Bahn genau an der Stelle hält, wo man sich wohlweislich hingestellt hat, oder wenn man sich in der Mittagspause erfolgreich durch die Menschenmassen gewieselt hat, um ganze zwei Sekunden schneller wieder im Büro zu sein.
  • Überall so viele (kulturelle) Möglichkeiten, die man natürlich selten in Anspruch nimmt, aber immerhin immer könnte
  • Lächerlicher Einkommenssteuersatz (aktuell 20 % für Normalsterbliche wie mich)
  • NHS ohne Krankenkassenbeiträge
  • Benefits für Angestellte wie leistungsbezogene Boni, private Krankenversicherung (bei der man jede Woche ein kostenloses Kinoticket bekommt), diverse Ermäßigungen, Steuervorteile, Pensionsfonds, "Wellness"-Guthaben, etc.
  • Im Dienstleistungssektor wird man nicht wie ein Bittsteller behandelt; alle Behörden und Berater im weitesten Sinne sind wirklich darum bemüht, einem freundlich weiterzuhelfen, auch wenn das nicht immer klappt.
  • Effizienter ÖPNV:Es meckern zwar viele, aber dafür, dass die Londoner U-Bahn schon 151 Jahre alt ist, funktioniert sie sehr gut und man ist schon genervt, wenn man mal länger als drei Minuten warten muss. Dasselbe gilt für Busse; man ist zwar erst mal überfordert, weil es unglaublich viele Linien und Haltestellen gibt und sie stehen auch gerne im Stau, aber wenn man weiß, wohin man will und worauf man sich einlässt, erreicht man jeden Fitzelwinkel der Stadt.
  • Oyster Cards, die simpel und logisch zu benutzen sind: Geld und/oder Monatskarte draufbuchen und losfahren. Guthaben und/oder Monatstickets können ganz einfach am Automat/im Internet/automatisch aufgebucht werden. (Der Preis von aktuell 120 £ für mein "kleines" Monatsticket ist allerdings ein fettes Minus!)
  • Pubkultur! Ob oll und schrullig in der Stadt oder schmuck und weiträumig auf dem Land ... in den Pubs man fühlt sich wohl, kann gut essen und trinken und vor allem ist die ganze Familie dabei.
  • Meinen Yoga-Kurs
  • Das Urlaubsgefühl, das man immer noch bekommt, wenn man an den Hauptsehenswürdigkeiten vorbeiläuft
  • Glaube an Technik und neue Technologien: Es ist erst mal was Gutes, was den Menschen helfen soll. Man kann z. B. an der Bushaltestelle dank NFC oder QR-Code mit dem Handy  nachgucken, wann der nächste Bus kommt. Oder jeden Fitzel mit Kreditkarte bezahlen (Und immer mehr Contactless, d. h. über einen RFID-Chip: Man hält die Karte einfach an das Auslesegerät und muss keine PIN mehr eingeben). Was das datenschutztechnisch bedeutet, steht natürlich auf einem anderen Blatt, aber man kann sich ja erst mal auf den Mehrwert besinnen, eh man wieder alles schlechtredet.
  • Keine Steuererklärungen!! Die müssen kleine Angestellte nicht abgeben, das müssen nur Selbstständige und wer ganz viel verdient. Es gibt noch mehr Ausnahmen, aber sie sind tatsächlich Ausnahmen und wir mussten hier noch nie eine Steuererklärung einreichen.
  • Das britische Fernsehen, das nicht so trashig ist wie in Deutschland. Die BBC hat so tolle Dokus über Geschichte, Kunst, Architektur, Natur und Kultur, das würde ich wirklich sehr, sehr vermissen. Und die laufen sogar zu ganz normalen Zeiten! 
  • Tolle Straßenmärkte, z. B. den Greenwich Market, die nicht nur "Made in China"-Schnulli haben, sondern hochwertige Dinge (und trotzdem erschwinglich) 
  • Effiziente und entgegenkommende Kostenverwaltung: Wenn man irgendwo weniger Aufwand verursacht (z. B. indem man irgendwas fürs Jahr bezahlt anstatt monatlich), wird es belohnt, indem z. B. Geld erlassen wird
  • Das Bahnnetz, das von London aus ins ganze Land geht
  • Wandern im ganzen Land! Man kann einfach überall langwandern, über Berg und Tal, und egal, wem das Land gehört. Weideland oder Feld? Gar kein Problem, solange ihr das Tor wieder hinter euch zumacht. Ich gebe zu, ich war in Deutschland noch nicht wirklich viel wandern, aber ich wüsste nicht, dass man Privatland betreten darf, geschweige denn, dass zu diesem Zweck extra Tore oder Kletterhilfen an den Zäunen angebracht werden. 
  • Wunderbare, oft kostenlose Museen: Die Ausstellungen sind einfach hervorragend aufgearbeitet, da können sich so viele Länder eine Scheibe abschneiden. 
  • Es werden so viele kleine Ideen auf die Beine gestellt, die wahrscheinlich nirgendwo anders Abenehmer oder Publikum finden würden. Selbstgemachte Cola? Super! "Zurück in die Zukunft" als Freiluftkino-Event? Ein Riesenhit! Ein Katzencafé? Oder – der neueste Schrei – ein Fischdosenrestaurant? Nur in London, Baby!
  • Mein Konto mit derzeit 3 % Zinsen
  • Die vergötterungswürdigen Landschaften, von der Küste über Wälder und Heidelandschaften bis hin zu Hügeln und Bergen. Und dabei haben wir bisher nur einen Bruchteil gesehen, was mir wirklich in der Seele wehtut. Ich will mehr mehr mehr sehen!!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen