LDN

Sonntag, 30. November 2014

Eurotunnel

Alle Wege führen nach London. Den Ärmelkanal kann man nämlich nicht nur mit dem Flugzeug oder der Fähre überwinden, sondern auch im Eurotunnel  darunter hindurchfahren. Entweder mit dem Eurostar, einem Personenzug, oder mit dem Autozug Eurotunnel Le Shuttle (der Einfachheit halber nenne ich ihn hier nur Eurotunnel).


Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich noch nie mit dem Eurostar gefahren bin, obwohl man da ganz bequem in King's Cross einsteigen könnte und wir von Arbeit aus sogar ein bisschen Rabatt kriegen. Aber irgendwann müssen wir das mal machen und nach Paris oder Brüssel fahren. 

Durch den Eurotunnel sind dafür schon mehrmals gefahren, u. a. auch Anfang November, darum wollte ich euch kurz berichten, wie das ist (mit einem Autozug fährt man ja nicht alle Tage).

Hier ein paar Rahmendaten;
  • Der Eurotunnel verläuft zwischen Coquelles bei Calais (Frankreich) und Folkestone (Vereinigtes Königreich) – auf Französisch heißt er Tunnel sous la Manche (Tunnel unter dem Ärmelkanal), auf Englisch heißt er Channel Tunnel (Kanaltunnel).
  • Mit dem Bau wurde 1988 begonnen, die Eröffnung erfolgte 1994 (Ideen für einen Tunnel gab es jedoch schon seit mindestens 1802!).
  • Der Tunnel ist ca. 50 Kilometer lang.
  • Die durchschnittliche Tiefe beträgt 50 Meter; der tiefste Punkt liegt bei 75 Metern.
  • Eurostar (Personenzug) und Eurotunnel (Autozug) sind zwei unterschiedliche Unternehmen, sie nutzen jedoch dasselbe Tunnelsystem (genauso wie Güterzüge).
Wie man sieht, besteht der Tunnelkomplex aus drei verschiedenen Tunneln: einen für den Autozug, in der Mitte ein Servicetunnel und dann der Eurostar-Tunnel.

Und so geht's:
  1. Man bucht online sein Ticket für ein bestimmtes Zeitfenster. Die Preise sind so unterschiedlich wie beim Fliegen, es gibt noch ein paar Rabattaktionen (z. B. wenn man innerhalb von 24 Stunden hin- und zurückfährt). Das Gute: Man bezahlt nach Autogröße und pro Auto, d. h. wie viele Personen drinsitzen und was man alles an Gepäck hat, ist nebensächlich.
  2. Man fährt zum Tunnel. In unserem Fall durch Deutschland, die Niederlande und Belgien bis Frankreich.
  3. Man fährt zum Anmeldeterminal (sieht aus wie eine Zollstation), dort fährt man an einen der Automaten ran (sieht aus wie ein Parkautomat) und gibt seine Buchungsnummer ein, die man per E-Mail erhalten hat. Ausgespuckt wird ein Papieranhänger, den man an den Rückspiegel hängt. Darauf steht ein Buchstabe, der die Abfahrtszeit angibt: Die Züge fahren im 30-Minuten-Takt und jede Abfahrtzeit hat einen Buchstaben. Da man bei so einer langen Anreise natürlich nicht auf die Minute planen kann, versuchen sie, dass man innerhalb von 2 Stunden rund um die gebuchte Zeit einen Platz bekommt. Leider war das bei uns nicht der Fall – wir waren 1 1/2 Stunden zu früh dran und mussten bis zur tatsächlichen Zeit warten.
  4. Man fährt 50 Meter weiter zur französischen Zollstation, dort muss man den Ausweis vorzeigen.
  5. Man fährt 50 Meter weiter zur britischen Zollstation, dort muss man den Ausweis noch mal vorzeigen. Manche Autos werden auch für eine Kontrolle rausgefischt.
  6. Man fährt zum Warteterminal, das ein bisschen wie ein Flughafen ist mit Toiletten, ein paar Geschäften und Fressbuden. Wir haben davor geparkt und die ewige Wartezeit mit mitgebrachten Brötchen herumgekriegt.
  7. Wenn der eigene Buchstabe aufgerufen wird (am Parkplatz steht eine riesige Anzeigetafel), macht man sich auf in Richtung Zug. Die Fahrzeuge werden in mehrere Schlangen aufgeteilt, so dass das Boarding gleichzeitig vonstattengehen kann. LKW und Busse können ebenfalls mitfahren, sie werden gesondert in großen "Käfigen" untergebracht:
     
  8. Man fährt in den Zug (die Einweiser helfen). Wie man sieht, fahren die Autos hintereinander rein.



  9. Man steht drinnen, macht den Motor aus, lauscht den Sicherheitshinweisen und genießt die 35 Minuten Fahrt. Zu sehen gibt es leider nichts.

    Die Zwischentüren werden während der Fahr geschlossen, Personen können aber trotzdem durchgehen (z. B. zur Toilette)
  10. Wenn man angekommen ist, fährt man wieder aus dem Zug und ist dann auch sofort aus dem Eurotunnel-Komplex raus, keine weiteren Kontrollen.

So einfach geht das!

Für mich hat der Tunnel viele Vorteile: Man kann ordentlich Gepäck und Leute mitnehmen und kann dafür ziemlich günstig fahren (unsere letzte Fahrt kam hin und zurück zusammen ca. 70 €). Die Überfahrt an sich geht mit 35 Minuten sehr flott, mit der Fähre ist man wesentlich länger unterwegs (ca. 1 1/2 h, die sich aber wie eine Ewigkeit anfühlen, wenn man nicht gerne auf offenem Wasser unterwegs ist).

Von Höxter zu uns nach London sind es mit Tunnel ca. 9 1/2 Stunden reine Fahrzeit.


Für Interessierte hier noch ein paar Zusatzinfos vom Eurotunnel selbst:
How the Channel Tunnel was Built - Eurotunnel Le Shuttle
How the Channel Tunnel was Built - Eurotunnel Le Shuttle

Donnerstag, 20. November 2014

U-Bahn: neuer Beförderungsrekord

Letzten Freitag war ein historischer Tag: Noch nie wurden an einem Tag so viele U-Bahn-Fahrten absolviert wie am 14. November, nicht mal zu den Olympischen Spielen 2012.

4,576 Mio. Fahrten. An einem Tag.

Dieser Rekord wird wohl bald wieder eingestellt werden, denn London wächst und wächst; 2030 sollen aus den bisher 8,4 Mio. Einwohnern schon 10 Mio. geworden sein.

Warum es an dem Freitag besonders hoch herging? Inhaber einer Contactless-MasterCard durften an dem Tag kostenlos fahren, um diese neue Zahlungsart zu bewerben – was auch direkt 175.000 Mal in Anspruch genommen wurde.

Seit September kann man nämlich nicht nur mit der Oyster Card U-Bahn fahren, sondern auch mit seiner Kreditkarte, sofern sie kontaktlos benutzbar ist. Das funktioniert dann auch genauso wie eine Oyster: Man hält die Kreditkarte ans Lesegerät und die Fahrt wird abgebucht (selbstverständlich mit allen Annehmlichkeiten eines Oyster-Tickets, z. B. Tages- und Wochen-Obergrenze; zusätzlich hat man den Vorteil, dass man die Kreditkarte nicht aufladen muss).

Dienstag, 18. November 2014

Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der Schönste* im ganzen Land?

* Werbespot. Der schönste Weihnachtswerbespot.

Ein kleines britisches Kuriosum ist das Wettrennen um den schönsten (anrührendsten, witzigsten, spektakulärsten) Werbespot fürs Weihnachtsgeschäft, das sich die hiesigen Einzelhandelsgiganten jedes Jahr liefern. Die Reklame wird mit allerhand Brimborium zelebriert und unter die Menschen gebracht. Dabei geht es meist um große Emotionen (und natürlich überhaupt nicht ums Geld, zwinker zwinker).

Um die diesjährige Krone kämpfen die beiden Big Player John Lewis (Kaufhaus) und Sainsbury's (Supermarkt). John Lewis setzt wie gewohnt auf große Gefühle, Putzigkeit (Kinder und Tiere gehen ja bekanntlich immer), herzzerreißende Musik und Erwachsene, die ihren Kaffeebecher mit beiden Händen festhalten:


John Lewis Christmas Advert 2014 - #MontyThePenguin from PIXEL CRAFT by Ângelo on Vimeo.

Innerhalb von 24 Stunden nach seiner Veröffentlichung im Internet wurde der Spot schon über 200.000 Mal geteilt! Ich gebe zu, ich finde ihn sehr schön und vor allem unglaublich gut gemacht. Der Pinguin, Monty, ist übrigens komplett animiert.

Sainsbury's dagegen setzt dieses Jahr auf große Gesten und Geschichte. Sie haben sich mit der Royal British Legion zusammengetan, um 100 Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges an den wundersamen Weihnachtsfrieden 1914 zu erinnern.


Sainsburys "Christmas is for Sharing" from Woodwork Music on Vimeo.

Mir persönlich ist es ja ein bisschen zu viel Pathos, aber ein deutsch-englisches Stille Nacht ist schon sehr bewegend. Die Schokolade aus dem Spot wird übrigens auch verkauft; der Erlös geht direkt an die RBL.

Wie eine Marketing-Bude ermittelte, wurde der Werbespot von Sainsbury's in den ersten 12 Stunden 25.089 Mal angesehen, während es John Lewis dabei "nur" auf 19.593 Views brachte (dass die sich nicht schämen!).

Beide Reklamefilme haben unzählige verzückte Anhänger. Die liebe Kritik bleibt allerdings nicht aus: Etliche Zuschauer haben sich beschwert, dass mit dem Ersten Weltkrieg für einen Supermarkt geworben wird. Hier muss man allerdings einwerfen, dass Sainsbury's schon seit 20 Jahren mit der RBL zusammenarbeitet.
Und ja, eine Beschwerde über John Lewis gab es selbstverständlich auch – Pinguine als Haustiere zu vermarkten, gehe ja schließlich nicht.

Was es 2014 sonst noch so für Weihnachtswerbung gibt und wie gut sie ist, erklärt die Boulevardzeitung Mirror.

Montag, 17. November 2014

Nachtrag zum Mo(h)ntag

Wie ich bereits berichtete, ist die Kunstinstallation Blood Swept Lands and Seas of Red – Keramikmohnblüten rings um den Tower of London – am 12. November zu Ende gegangen. Seitdem wird abgebaut, damit die Blumen entweder an ihre Spender geschickt oder im ganzen Land ausgestellt werden können. Der Abbau tut dem Besucherandrang allerdings keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil: Weil eine Seite des Besucherzauns mit Holzplanken versperrt wurde, drängen sich noch mehr Leute in die restlichen Ecken.

Hier einige Impressionen vom Samstag:





So sah die Treppe hoch zur Tower Bridge aus; wir standen tatsächlich im Stau.

Mittwoch, 12. November 2014

It's Poppy time!

Wer schon mal im Herbst in London war, kennt sie bestimmt: Poppies.

Sie sind überall.
Und ich meine wirklich überall.

Ich gebe zu, als ich sie das erste Mal sah, wusste ich überhaupt nicht, was das sein soll und es hat ein paar Wochen gedauert, bis es mir dämmerte. Erkennt ihr, was es ist (die Übersetzung mal beiseite)?

Eine Mohnblüte. Offiziell wird sie Remembrance Poppy genannt und erinnert bereits seit 1921 an gefallene Soldaten, besonders des Ersten Weltkrieges. Jedes Jahr im Oktober und November findet der Poppy Appeal statt, eine Spendenaktion der Royal British Legion (Kriegsveteranen-Organisation). 2013 kamen darüber 39 Mio. £ zusammen! Der wohl wichtigste und sichtbarste Teil dieser Aktion ist der Verkauf (einen festen Preis gibt es nicht; man spendet, was man geben möchte) von kleinen Mohnansteckern, die man sich dann an die Jacke pinnt und so seine Unterstützung für Soldaten und Veteranen zeigt – jedes Jahr fertigt die RBL über 30 Millionen davon in ihrer Poppy Factory in Richmond an! Eine Mohnblüte ist es deshalb, weil sie an das Blut erinnert, das auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges vergossen wurde, inspiriert von dem Gedicht In Flanders Fields von John McCrae, dessen erste Strophe lautet:
In Flanders fields the poppies blow
Between the crosses, row on row,
That mark our place; and in the sky
The larks, still bravely singing, fly
Scarce heard amid the guns below.
Auf Flanderns Feldern blüht der Mohn
Zwischen den Kreuzen, Reihe um Reihe,
Die unseren Platz markieren; und am Himmel
Fliegen die Lerchen noch immer tapfer singend
Unten zwischen den Kanonen kaum gehört.
(Übersetzung von Wikipedia gemopst)
Die "einfachen" Poppies sehen so aus, wie der kleine Junge sie ganz oben an der Jacke trägt, aber es gibt sie in allen Formen und Größen, gerne auch selbstgehäkelt oder mit Edelsteinen aufgehübscht.

Dieses Jahr jährt sich der Ausbruch des Ersten Weltkrieges (hier auch ehrfürchtig The Great War genannt) bekanntlich zum 100. Mal und in diesem Rahmen gibt es hier aktuell nicht nur etliche Veranstaltungen und TV-Sondersendungen, sondern auch eine große Kunstinstallation, die am heutigen Armistice Day (Tag des Waffenstillstandes) am 11. November ihren Höhepunkt fand. Von der habt ihr in Deutschland bestimmt schon mal gehört.


Die Installation am Tower of London heißt Blood Swept Lands and Seas of Red (dieser Name entstammt ebenfalls einem Kriegsgedicht) und wurde von dem britischen Keramikkünstler Paul Cummins erdacht. Jede einzelne wurde von Hand gefertigt, wobei Techniken aus der Zeit des Ersten Weltkrieges zum Einsatz kamen. Hier seht ihr, wie die Poppies entstanden:


Das Mohnblumenfeld aus Keramikblüten "wuchs" vom 17. Juli bis 11. November; die letzte Poppy pflanzte gestern ein 13-jähriger Kadett. Größtenteils wurden sie von Freiwilligen aufgestellt:



Insgesamt sind es 888.246 Poppies, die im Laufe der Monate Stück für Stück gepflanzt wurden. Jede symbolisiert einen gefallenen Soldaten der britischen und Kolonialstreitkräfte (die Zahl ist natürlich nur eine offizielle Schätzung). Sie stehen rings um den Tower und scheinen aus dem "Weeping Window" (weinenden Fenster) zu strömen. 


Man konnte die Poppies zu je 25 £ kaufen – die Einnahmen kommen verschiedenen Kriegsveteranen-Wohltätigkeitsorganisationen zugute. Nach dem Abbau der Installation sollen die Spender ihre eigene Poppy zugesandt kriegen.



Wie man sehen kann, ist die Kunstinstallation ein absoluter Publikumsmagnet. Seit ihrer Enthüllung am 5. August haben sie fast 5 Millionen Besucher gesehen! (Allerdings weiß ich nicht, wie diese Zahl ermittelt wurde, denn die Installation ist frei zugänglich.) Zusätzlich wurden später Flutlichter aufgestellt, damit man das Blumenmeer auch nach Einbruch der Dunkelheit noch besichtigen kann.


Ich habe mir das Spektakel vor einigen Wochen mal angesehen (an einem Samstag, wie dumm von mir!) und auch wenn es unerträglich rammelig war, ist das rote Blütenmeer doch sehr beeindruckend und ein reizendes und erschütterndes Mahnmal zugleich.


Seit 12. November werden die Poppies wieder Stück für Stück von Freiwilligen abgebaut. In den Tagen zuvor gab es eine euphorische Debatte darüber, die Installation aufgrund ihrer Beliebtheit zu verlängern, aber es scheint, als wäre das nicht der Fall. Ein Teil der Poppies wird aber noch durch das Vereinigte Königreich touren und dann anschließend im hiesigen Imperial War Museum ein neues Zuhause finden.




Als ich die Poppies in meinem ersten Jahr hier zum ersten Mal sah, waren sie mir sehr suspekt ("Bah, Kriegsverherrlicher!"), aber ich muss sagen, dass ich mich mittlerweile an den Anblick gewöhnt habe. Vor allem als Deutscher hat man ja doch ein ganz anderes Verhältnis zum Krieg und ist eher zurückhaltend und zynisch. Das ist hier ganz anders – die Briten haben ja auch noch nie einen Krieg verloren. Während man in Deutschland die Nase über jeden rümpft, der freiwillig im Kampf seinen Kopf hinhält ("Selber Schuld!"), hält man die Streitkräfte hier in allen Ehren. Das finde ich zwar immer noch merkwürdig und kann es schwer nachvollziehen, aber da leider kein Bösewicht (die scheinen im Jahr 2014 ja aus allen Löchern zu kriechen) gewillt ist, Konflikte ganz modern ohne Tod und Vernichtung zu lösen, bin ich schon ein kleines bisschen froh, dass sich doch noch Leute finden, die einen wenigstens in falscher Sicherheit wiegen können.

Auf der anderen Seite werden auch viele Stimmen laut, die den "Wettlauf" um die erste Poppy des Jahres kritisieren. Ursprünglich wurde sie nur am 11. November getragen, heute tauchen die ersten schon Mitte Oktober auf. Vor allem Personen des öffentlichen Lebens sind quasi dazu verpflichtet, sich eine Blüte anzustecken, um bloß nicht als unpatriotisch zu gelten. Genauso schlimm: Leute, die nur der Mode wegen oder weil sie gut dastehen wollen eine Poppy tragen. Gar nicht so einfach, so ein Anstecker! 

Wer die Idee einer Wohltätigkeitsblume am Revers trotzdem nett findet, kann im März für einen Osterglocken-Anstecker spenden, die die Marie Curie Cancer Care im Rahmen ihres Great Daffodil Appeal verteilt. Diese Stiftung setzt sich seit 1948 für todkranke Krebspatienten ein, was ja mindestens genauso ehrenwert ist.