Das selbsternannte "loveliest Castle in the World" ist ein Wasserschloss aus dem Bilderbuch, aber ich muss sagen, dass ich Hampton Court doch wesentlich beeindruckender fand, da es geschichtlich gesehen sehr viel interessanter ist. Aber vor allem für kleine Ritterfans ist Leeds Castle ein tolles Ausflugsziel, denn neben einem riesigen Park gibt es auch Raubvögel, ein Labyrinth, eine geheimnisvolle Grotte, einen großen Spielplatz und einen Golfplatz.
Nach Leeds Castle kommt man mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur schlecht; die Burg liegt zwar bei Maidstone, aber eben nur bei. Der nächste Bahnhof ist ca. 25 Gehminuten entfernt, aber so haben wir einfach noch einen schönen Spaziergang drangehängt.
Genau als wir ankamen ging gerade eine kostenlose Führung durch das Parkgelände los, die wir noch mitmachten. Das Gelände ist wirklich riesig (über 200 Hektar) und umfasst Waldstücke, Wiesen, Gärten. Jetzt im Herbst war es dadurch schön bunt.
1119 errichtete ein normannischer Baron an dieser Stelle eine erste Festung aus Stein. Damals herrschte Henry I., seines Zeichens Sohn von William the Conqueror (Wilhelm der Eroberer), der wiederum 1066 die englische Krone an sich brachte. Im Laufe der Jahrhunderte wurde die Burganlage jedoch immer und immer wieder umgebaut, so dass man ihr die 900 Jahre heute kaum noch ansieht.
Der See um Leeds Castle wurde erst angelegt, nachdem es 1278 in den Besitz von König Edward I. (bzw. seiner ersten Frau Eleonore von Kastilien) ging. Seitdem war es bei sechs englischen Königinnen Teil der Mitgift und Residenz, über die sie auch nach dem Tod des Königs weiter verfügen durften. Nach einer kurzen Blütezeit unter besagtem Edward I. versank die Burg allerdings aus historischer Sicht in die Bedeutungslosigkeit.
Eisenschlüssel aus dem 14. Jahrhundert, der 1822 im Wassergraben gefunden wurde |
Der nächste Höhepunkt war erst wieder 1519, als Henry (Heinrich) VIII. Leeds Castle für seine erste Frau Katharina von Aragon umbaute. Aber wie diese Ehe endete, weiß der aufmerksame Leser ja bereits.
1520 ereignete sich bei Calais ein legendäres Treffen zwischen Henry VIII. und dem französischen König François (Franz) I., das Field of Cloth of Gold bzw. auf Französisch Camp du Drap d’Or (Feld des Güldenen Tuches). Die beiden jungen Könige wollten die Beziehungen ihrer Königshäuser verbessern und natürlich so richtig einen auf dicke Hose machen mit Prunk, Protz und Renaissance-Ritterspielen.
Rüstung von Henry VIII. für die Ritterwettkämpfe beim Field of Cloth of Gold |
Lange Rede, kurzer Sinn: Auf dem Weg von Greenwich nach Calais übernachtete Henry am 22. Mai 1520 mit seinem Gefolge (läppische 5.180 Mann stark) in Leeds Castle. Dafür wurde die Burg schon im Voraus umgebaut und die gesamte obere Etage für die Königin reserviert und ausgebaut. Natürlich passte nicht der ganze englische Hof ins Schloss, aber die wichtigsten Personen nächtigten selbstverständlich in diesen Gemächern. Um seine Meute durchzufüttern, brachte Henry übrigens folgenden Proviant mit:
- 2.000 Schafe
- 800 Kälber
- 312 Reiher
- 13 Schwäne
- 1.600 Fische
- 1.300 Hühner
- 17 Hirsche
- 700 Aale
- 3 Schweinswale
- 1 Delfin
Ja, ich wundere mich genauso wie ihr ...
Königliches Selfie |
Das war der letzte königliche Auftritt von Leeds Castle. Die nächsten 400 Jahre wurde die Burganlage immer wieder vererbt und verkauft und viele Besitzer (oder auch Feuer) legten noch einmal Hand an und rissen dies ab und bauten jenes an. Die Spuren des Mittelalters sind daher kaum noch zu sehen.
1926 dann wurde Leeds Castle von der illustren, 26 Jahre jungen Lady Olive Baillie gekauft, der letzten privaten Besitzerin. Die reiche britisch-amerikanische Erbin suchte nach einem schnuckeligen Landsitz in Kent, den sie in ein mittelalterlich-gotisches Traumschloss verwandeln wollte (Teile von Leeds Castle waren zu der Zeit schon verfallen).Das "neue" Schloss im Tudor-Stil wurde 1823 fertiggestellt |
Tintenfass aus einem Pferdehuf; was man im 19. Jahrhundert halt so schick findet |
Als Lady Baillie 1974 starb, vermachte sie Leeds Castle dem englischen Volk, so dass es nun in privater Treuhandschaft verwaltet wird. Ab und zu wird das Schloss auch für wichtige Konferenzen oder Staatstreffen genutzt.
Die Mischung aus ganz alt und ein bisschen alt ist wirklich sehr faszinierend; mir persönlich gibt es allerdings nicht so viel, ich mag lieber das richtig olle Zeug. Aber die Innenräume sind ja nur ein kleiner Teil der Anlage, der Park drumherum ist noch viel faszinierender. Dazu gehören das einzige Hundehalsbandmuseum der Welt:
Ein ganz großer Hit bei Kindern ist natürlich das Labyrinth (ganz schön schwierig!), in dessen Mitte es eine kleine Aussichtsplattform gibt. Es besteht aus 2.400 Eiben.
Wenn man am Ziel angelangt ist, kann man über eine geheimisvolle unterirdische Grotte zurückgehen. Die sorgt mit Musik, Stimmen und unheimlicher Beleuchtung für ein bisschen Grusel und Mystik.
Das nächste Highlight sind die Raubvögel, die regelmäßig bei Falknerei-Shows präsentiert werden. Die Flugshow haben wir leider verpasst, aber da die meisten Vögel auf einem Baumstamm wohnen, haben wir sie von Nahem gesehen.
Einen großen Ritterspielplatz gibt es auch ... Kind müsste man noch mal sein!
Nach dieser schönen Runde machten wir uns wieder auf den Rückweg, ebenfalls wieder durch herbstliche Gärten. Leider fing es dann an zu nieseln, so dass wir uns nicht mehr lange aufhielten.
Öko-Regenschirm, leider nicht zum Mitnehmen |
Hier noch ein interessanter Fakt zum Abschied:
Der Trauerschwan ist das Symbol von Leeds Castle und im ganzen Schloss zu finden (sowohl im See als auch als Stickerei auf Lady Baillies Handtüchern). Im Mittelalter jedoch hielt man schwarze Schwäne für Fabelwesen – genauso fantastisch wie Einhörner. Es gab sogar die Redewendung "so selten wie ein schwarzer Schwan" (und analog dazu der weiße Rabe), um etwas Unmögliches zu beschreiben. Erst 1697 wurden im Westen Australiens mehr oder weniger zufällig schwarze Schwäne entdeckt. Man kann sich vorstellen, wie groß die Überraschung war! Lady Baillie siedelte die eleganten Trauerschwäne dann im Schloss an und seitdem sind sie nicht mehr wegzudenken.
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