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Dienstag, 13. Januar 2015

Winchester

Alfred der Große, Kathedrale, Tafelrunde – Am 29. November bin ich mal ganz spontan nach Winchester gefahren, weil diese Stadt im Südosten sehr schön sein soll. Und was soll ich sagen, dieser Meinung kann ich mich nur anschließen!

Bevor ich loslege, muss ich aber noch einen praktischen Geheimtipp für alle Londoner mit einem Monatsticket loswerden.

Londoner ÖPNV-Zonen
Wenn man nämlich mit Monatskarte seine Bahntickets am Schalter holt, kann man sich das Ticket erst für außerhalb der eigenen Oyster-Zone ausstellen lassen. Ich habe z. B. ein Monatsticket für die Zonen 1 und 2 und habe mir deshalb ein Ticket von Paddington nach Winchester ab Zone 3 geben lassen. Schon das hat sich gelohnt, denn statt 33,50 £ habe ich damit nur 27,80 £ bezahlt. Ham oder nich ham, oder? Wer ein Oyster-Monatsticket für Zonen weiter draußen hat, kann mit Sicherheit einen ordentlichen Batzen sparen.


Aber zurück zu Winchester. Die Stadt ist alt (also Eisenzeit-römisch-alt) und sehr bedeutend, denn Alfred der Große (849–899), König der Westsachsen und später der Angelsachsen, machte Winchester zu seiner Hauptstadt. Alfred war ein bedeutender Staatsmann und der einzige englische König, der den Beinamen "der Große" bekam. Er konnte die einfallenden dänischen Wikinger erfolgreich abwehren und schuf so die Grundlage für ein vereinigtes angelsächsisches bzw. englisches Königreich unter der Vorherrschaft seines Reiches Wessex ("Westsachsen").

Alfred war aber kein kriegerischer Zottelbart, sondern ein frommer Staatsmann und Gelehrter, der trotz seiner schwachen Gesundheit Wessex mit befestigten Zentren überzog (das größte davon und Alfreds Sitz war Winchester), Klöster baute, die Kultur förderte, eine Gesetzessammlung niederschreiben ließ, kunstvoll Diplomatie betrieb und in seiner Freizeit auch noch spätrömische Philosophen übersetzte (sehr sympathisch, hihi). Seine Enkelin war übrigens Edgitha (auch Editha), erste Frau von unserem Magdeburger Otto dem Großen. 2010 wurden ihre sterblichen Überreste im Magdeburger Dom identifiziert.

Wer sich für diesen spannenden Abschnitt der englischen Geschichte interessiert, sollte sich mal die mittlerweile sieben Bücher umfassende Uhtred-Saga (The Saxon Stories) von Bernard Cornwell zu Gemüte führen.



Es wird wenig überraschen, dass Alfred als Gründervater und Superkönig in Winchester auch heute an jeder Ecke präsent ist. Darüber hinaus besitzt die Stadt mit Winchester Cathedral eine der größten Kathedralen des Landes sowie den Round Table, der jahrhundertelang als die echte Tafelrunde von König Artus galt. Um mir diese ganzen Schätze anschauen zu können, bin ich als Erstes zur Touristeninfo gegangen und habe mir da einige Broschüren geholt, u. a. mit drei Stadtführungen auf den Spuren Alfreds des Großen. Das war echt super, denn so habe ich die ganze Stadt gesehen und wusste dann auch gleich, was ich mir da eigentlich angucke. Abgesehen davon ist Winchester aber auch so ein hübsches Städtchen mit vielen Fachwerkhäusern, einem Fluss und netten Geschäften.


Buttercross aus dem frühen 15. Jahrhundert. Solche Kreuze gibt es in vielen Orten Englands; wie der Name schon verrät, wurden an ihnen einst Milch, Butter und Eier verkauft, denn sie markierten den Marktplatz. 

Los ging es an der berühmten Alfred-Statue, die oben schon zu sehen ist. Sie steht an der 2.500 Jahre alten High Street. Schon bei den Römern, den Angelsachsen und im Mittelalter war die High Street eine bedeutende Verkehrsstraße und womöglich ist sie sogar die älteste Straße Englands. Neben der Statue des großen Königs befindet sich die viktorianische Guildhall, in der die Stadtverwaltung ihren Sitz hat. Und gegenüber ein Kirchlein mit Moosdach, das fand ich sehr putzig.

Von dort ging es weiter zum Fluss Itchen, der durch Winchester fließt. Die steinerne City Bridge, die man im Bild sieht, wurde angeblich zum ersten Mal im 9. Jahrhundert an dieser Stelle von St Swithun, Bischof und Stadtpatron von Winchester, erbaut. Die aktuelle Brücke stammt aber aus dem Jahr 1813. Der Itchen war ganz früher mal als natürlicher Wassergraben Teil der Befestigungsanlagen. Außerdem trieb er Mitte des 12. Jahrhunderts in und um Winchester 12 Wassermühlen an. Die City Mill auf der anderen Seite der City Bridge ist auch heute noch in Betrieb.
City Mill
Ich bin aber auf der gegenüberliegenden Seite an der hübschen Flusspromenade weitergelaufen. Hier befinden sich noch Überreste der alten römischen Stadtmauern, die 300 v. Chr. angelegt wurden. Man sieht an einigen Stellen sehr gut, wie die Mauern immer wieder repariert und weitergebaut wurden.

Weiter ging es zum Wolvesey Castle, dem mittelalterlichen Bischofspalast. Leider konnte man die Anlage nicht betreten, aber der aktuelle Bischofssitz (aus dem Jahr 1684) direkt daneben ist auch nicht zu verachten. Und der Eiswagen davor (am 29. November!) davor auch nicht.

Gegenüber Wolvesey Castle liegt das renommierte Winchester College, ein Internat für Jungen im Alter von 13 bis 18 Jahren. Es wurde bereits 1382 gegründet und ist damit wahrscheinlich die am längsten durchgängig betriebene Schule Englands (und bestimmt eine der teuersten). Das Gebäude auf dem Foto rechts ist das Haus des Schuldirektors.

Direkt daneben liegt ein kleines unscheinbares Haus, in dem die berühmte englische Schriftstellerin Jane Austen ("Stolz und Vorurteil") ihre letzten Wochen verbrachte und schließlich mit nur 41 Jahren starb. Begraben wurde sie in der Winchester Cathedral. Das Häuschen ist heute ein privates Wohnhaus und nicht öffentlich zugänglich, aber eine blaue Plakette erinnert an die einstige berühmte Bewohnerin.

Nur wenige Meter weiter ging es durch ein kleines altes Stadttor, Kingsgate, über dem sich eine winzige Kirche – natürlich St Swithun geweiht – befindet (der schmale Anbau auf dem rechten Bild).


Wieder gleich um die Ecke befindet sich eine Mauer (Close Wall), die in angelsächsischer Zeit das Klosterleben vom Rest der Stadt abtrennte. Ein weiteres Tor, das Prior's Gate, führt zur Kathedrale und ihrer riesigen Anlage. Bevor man dorthin kommt, geht es jedoch am mittelalterlichen Cheyney Court vorbei, in dem früher die Bischöfe Gerichtsfälle anhörten. Daneben liegen der mittelalterliche Pferdestall, der heute für Musikunterricht genutzt wird, sowie die Pilgrim's School, deren älteste Bestandteile (zwei Fachwerkhäuser, auf dem 3. Bild zu sehen) aus dem 14. Jahrhundert stammen. Sie dienten früher den Pilgern, die das Grab St Swithuns besuchten, als Unterkunft. Heute ist es eine Jungenschule.
Prior's Gate
Cheyney Court
Pilgrim's School

Jetzt aber! Das Herzstück der Stadt, die Kathedrale! Sie ist über 900 Jahre alt und besitzt das größte mittelalterliche Hauptschiff Europas. Viele Berühmtheiten sind hier bestattet worden, darunter wie erwähnt Jane Austen und die frühen englischen Könige. Und weil das noch nicht genug war, gab es noch einen Weihnachtsmarkt obendrauf.
 

Wie man unschwer erkennen kann, war es sehr gut besucht. Aber es war auch ein wirklich hübscher Weihnachtsmarkt mit schönen Ständen und vor dieser Kulisse ist das natürlich besonders eindrucksvoll. Es war mit 12 °C nur zu warm für das richtige Winter-Feeling. Vor dem Haupteingang ging das bunte Treiben weiter.

Alfred der Große liegt übrigens nicht in der Winchester Cathedral. Er wurde in ihrem Vorgänger, dem Old Minster, bestattet. Diese Kirche existierte von 660 bis 1093, dann wurde an ihrer Stelle die heutige Kathedrale errichtet. Vom Old Minster zeugen heute nur noch Markierungen im Gras. 

Alfreds sterbliche Überreste zogen nur vier Jahre nach seinem Tod in den New Minster, den er noch persönlich in Auftrag gegeben hatte. Dieses Bauwerk (Kirche, Abtei, königliches Mausoleum) befand sich direkt neben dem Old Minster (die beiden waren sich so nah, dass sich die Chöre beim Singen in die Quere kamen) und ist heute ebenfalls verschwunden. Als die Normannen nämlich England eroberten, rissen sie den ganzen Minsterkomplex ab und bauten eine neue Kathedrale. Die ansässigen Mönche (Angelsachsen, mon dieu!) mussten – samt den Gebeinen der alfredschen Sippe – vor die Tore der Stadt in ein anderes Kloster ziehen.
Links der New Minster, rechts der Old Minster – so sah es früher aus
Dieses Kloster, Hyde Abbey, wurde 1539 unter Heinrich VIII. aufgelöst. Zunächst blieben die Gräber intakt, aber zwei Jahrhunderte später wurde an der Stelle ein Gefängnis gerichtet und dabei wurde so im Erdboden herumgewühlt, dass die Gräber zerstört und die Knochen zerstreut wurden. Bis heute ist die letzte Ruhestätte Alfreds daher unbekannt. Allein ein Fragment eines Hüftknochens ist aus der Zeit geblieben. Von ihm vermutet man, dass er Alfred oder seinem Sohn Edward gehört haben könnte.

Ich komme später noch mal auf die Kathedrale zurück (im wahrsten Sinne des Wortes), doch vorerst geht es aus der Innenstadt heraus auf den St Giles Hill, der einen Aussichtspunkt hat. Leider wurde es schon dämmerig, so dass die Aussicht selbst nicht sonderlich spektakulär war.


Also ging es wieder zurück in die Stadt, um die winchesterianische Dreifaltigkeit (Alfred, Kathedrale, Tafelrunde) zu vervollständigen. Die Innenstadt fing nun langsam an, in weihnachtlichem Glanz zu erstrahlen.

Der Weg führte durch das alte Westgate, das einst Teil der Stadtbefestigung war. Es ist neben dem Kingsgate das einzige erhaltene Stadttor Winchesters. Einige angelsächsische Elemente sind noch vorhanden, der Großteil des Tors stammt jedoch aus dem 12. Jahrhundert und wurde in den nächsten Jahrhunderten immer wieder umgebaut. Heute befindet sich ein kleines Museum im Westgate.


Nur wenige Meter links um die Ecke befindet sich Winchester Castle. Oder zumindest seine Überreste, denn von der Burg, an der schon Wilhelm der Eroberer baute, ist nach ihrer Zerstörung im 17. Jahrhundert nur noch die Great Hall aus dem 13. Jahrhundert übrig geblieben. Darin befindet sich der berühmte Round Table, die sagenhafte Tafelrunde von König Artus. Zumindest dachte man das einige Jahrhunderte lang. Tatsächlich aber stammt der Tisch aus dem 13. Jahrhundert und wurde für Heinrich VIII. in ihrer heutigen Form bemalt. Und so sieht das dann aus:

Also in der Theorie. Denn was ich gesehen habe, war das:

Mann, war ich sauer! Der Höhepunkt des Ausflugs und dann ist die blöde Halle gesperrt!

Zum Glück hatte ich aber noch einen Trumpf im Ärmel. In der Touristeninfo hatte ich einen Aushang für einen Advent Carol Service um 18:30 Uhr in der Kathedrale gesehen. Kostenlos und ohne Eintritt für die Kirche. Das war natürlich ein unschlagbares Argument. Also bin ich wieder zurück durch die Innenstadt zur Winchester Cathedral marschiert, um mein Glück zu versuchen.


Da die Great Hall meine Pläne durchkreuzt hatte, war ich über eine Stunde zu früh dran, aber da sich schon ein erstes zartes Schlängelchen bildete, stellte ich mich einfach mal dazu. Und tatsächlich, das waren die ersten Besucher des Adventskonzerts. Meine ehemalige Kollegin Anna versüßte mir das Anstehen mit einem telefonischen Wutausbruch über Mitbewohnerinnen aus der Hölle und britische Heizungsanlagen und dann öffneten sich auch schon die Pforten der Kirche und ich konnte, mit Kerze und Programmheft bewaffnet, einen Platz am Mittelgang erhaschen.
Drinnen durfte man natürlich nicht fotografieren, aber so sieht es dort aus. Ich saß in der Mitte rechts direkt am Mittelgang.
Das Adventskonzert entpuppte sich sehr schnell als minutiös geplanter Adventsgottesdienst (das 28-seitige Programmheft enthielt alle Details), doch es war nicht weniger beeindruckend. Ganz im Sinne des Advents ging es um die Ankunft des Lichts. So wurden die Kerzen der Besucher eine nach der anderen, Abschnitt für Abschnitt, angezündet. Untermalt wurde das Ganze mit Chorälen, Lesungen und Fürbitten.

Als kleines Heidenkind konnte ich damit natürlich nicht viel anfangen, aber die Professionalität war schon irre. Chöre und Redner (mit Mikrofon!) waren allesamt wirklich toll und auch wenn es zum Schluss trotz Mantel eisekalt war, war es eine schöne Erfahrung, in so einer erhabenen Kathedrale zu sitzen, sein Kerzlein zu halten, und so einem Spektakel beizuwohnen (und so viel Latein zu hören).

Nach dem einstündigen Programm habe ich noch schnell ein paar verwackelte Bilder gemacht, bevor es dann endlich zum Bahnhof ging.


Hier ein kleiner Eindruck von einem Konzert in der Winchester Cathedral und der großartigen Qualität des Chors (auch wenn die Videoqualität etwas anderes behauptet). Bei uns gab es zwar keine Instrumente, aber dafür Kerzen und Lichtprozessionen, ha!

Alles in allem war Winchester ein wunderbares Ausflugsziel, das ich jedem wärmstens empfehlen kann. Und da ich selbst ja auch nicht alles sehen konnte, wird das hoffentlich nicht mein letzter Besuch gewesen sein. Schließlich habe ich noch eine Rechnung mit der Great Hall offen.

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